Es gibt kaum einen Mensch, der Gastfreundschaft nicht zu schätzen weiß. Und wer gerne Menschen um sich hat, der lädt diese gerne ein: zu einem guten Essen, zur Grillparty im heimischen Garten oder zu einem guten Glas Wein auf der Wohnzimmercouch. Manche richten unter ihrem Dach „Gästezimmer“ ein, um Freunden und Bekannten zumindest für eine Nacht oder mehrere Tage bei sich zu beherbergen. Es wird geschätzt, den anderen zu begegnen, sie zu bewirten und sich mit ihnen auszutauschen. Die Gekommenen sind gern gesehene Gäste, erst recht wenn ohnehin schon lange eine Beziehung zu ihnen besteht und sie dem Gastgeber auch vertraut sind. Gästen stehen die Türen offen, sie sind zum Verweilen eingeladen. Doch der Besuch ist vorübergehend und damit zeitlich beschränkt.
Und da mancher Gast im öffentlichen Leben oft auch nur gegen Entgelt beherbergt, bewirtet oder befördert wird, ist Gastfreundlichkeit auch bei freiem Zutritt nicht zwingend vorausgesetzt. Viele fühlen sich auch als Fahrgast oder im Gasthaus fremd und wenig willkommen. Die einen versuchen, Fremden ein Gastrecht zu gewähren. Andere zeigen sich da eher vorsichtig, denn die Fremden könnten ja feindliche Absichten hegen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden „Gastarbeiter“ ins Land geholt – zunächst ging man davon aus, dass die Menschen aus anderen Staaten zeitlich begrenzt zu uns kommen. Es blieb leider oft nur bei einem Nebeneinander, anstatt ein Miteinander zu entwickeln.
„Willkommenskultur“
Seit einigen Jahren wird viel von „Willkommenskultur“ gesprochen. Der Begriff will mehr Wertschätzung vor allem gegenüber fremden Menschen ausdrücken. Wer „Willkommen“ sagt, der drückt aus: Ich wünsche mir, dass du zu mir kommst. Dann will ich dir begegnen. Und der Wunsch ist zeitlich nicht begrenzt; dafür stehen die Türen jederzeit offen und ich bin bereit, mein Leben zu teilen. Ich gehe sogar auf dich zu. Eine entsprechende „Willkommenskultur“ versuchen viele Gemeinden und Gemeinschaften einzuüben. Sie werben für Neue und für Neues, aus anderen Regionen, anderen Milieus, Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund.
Für Religionsgemeinschaften ist Gastfreundschaft bestehender Auftrag, wird aber zu gerne nur als Möglichkeit gesehen, mit der Gastfreundschaft andere zum eigenen Glauben zu führen. „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19), so mahnt schon das Alte Testament der Bibel. Es wird bedingungslose Gastfreundschaft vorausgesetzt.
Auf andere zugehen, nicht warten
Jesus lädt sogar dazu ein, sich aufzumachen und auf andere zuzugehen. Für diejenigen, die sich selbst zu anderen aufmachen und dort Anerkennung und Zuspruch finden, lädt er zum Verweilen ein und dazu, die Begegnung zu pflegen: „Wenn ihr in ein Haus aufgenommen werdet, dann bleibt dort, bis ihr den Ort wieder verlasst“ (Lukas 9,4).
Ein Haus und damit ein Dach über dem Kopf und zum Schutz zu haben, das ist leichter, als ein Zuhause zu finden. Nach einem Zuhause sehnt sich jeder – und wer es gefunden hat, der sollte es schätzen und annehmen. Wie heißt es doch: „Erst die Liebe macht ein Haus zum Zuhause.“
© Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 04.07.2020